L.s Treppe (H. Beesten, im August 21)

Eines Morgens wurde L. nicht mehr im Bauamt vorgelassen.

Er ging nach Hause, um zu begreifen, was das bedeutet. Die letzten Nächte hatte er fast immer durchgearbeitet, da war der wichtige Architekturwettbewerb mit knapper Abgabefrist. Die L. aber exakt und zuverlässig wie immer eingehalten hatte.

Am nächsten Morgen – L. war entgegen seiner Gewohnheit sehr früh im Büro und wäre zu dieser Zeit normalerweise der Erste gewesen – kam ihm schon am Eingang, verlegen lächelnd, die IT-Administratorin entgegen, die sonst morgens eine der Letzten war.

Bevor er sich wegen des Vorfalls mit dem Bauamt in Verbindung setzen würde, wollte er noch einmal seinen Entwurf für den Wettbewerb auf dem Computer durchgehen. L. war damit erstmals von seinem bisherigen, vom Bauhaus geprägten Stil, abgewichen, obwohl er wusste, dass er sich damit gegen ein seit Jahrzehnten geltendes ungeschriebenes Gesetz stellen würde.

Aber da war keine Datei mehr. Nichts.

Er hatte sich jedoch angewöhnt, sein Tagwerk zusätzlich auf einem USB-Stick zu sichern, so konnte er im Notfall alles wieder einspielen. Er war noch allein im Büro, obwohl mittlerweile einige Angestellte schon hätten da sein müssen. Es hatte sich auch eingespielt, dass ein jüngerer Kollege, der immer etwas später kam, L.s Lieblingscappuccino mitbrachte. Der hätte inzwischen auch längst da sein müssen. L. verspürte ein starkes Verlangen nach Kaffee.

Vielleicht hatte er sich auch zu lange auf den Kollegen verlassen. L. fiel ein, dass er anfangs angeboten hatte, den Cappuccino zu bezahlen, was der Kollege abgelehnt hatte. Er würde bei nächster Gelegenheit wieder dafür zahlen und ihn im Stillen nicht mehr Cappuccino-Kollege nennen. Dann eben selbst zu Starbucks. Als L. die Firma verließ, versuchte er, die Etagentür von außen zu verschließen. Sein Schlüssel passte nicht mehr. Ihm fiel ein, dass die Tür morgens offen gewesen war, als ihm die Administratorin entgegengekommen war.

Den Lift nach unten mied er. Lieber über das Treppenhaus durch die Tiefgarage zum Nebenausgang. Es waren ja nur 5 Stockwerke.

Es wurde dunkler im Kellergeschoss, als er Gelächter wahrnahm, und als er jemanden laut reden hörte, nahm L. Schwung aus seinem Gang, schlich um die nächste Ecke, erschrak, stoppte drei Stufen vor dem nächsten Treppenabsatz. Da versperrten drei Gestalten hinter Pulten, in grotesken Verkleidungen seinen Weg. Als er sich nach oben zurückwandte, standen auf dem Treppenabsatz, den er gerade passiert hatte, wie eine Wand, seine Kollegen. L. wandte sich wieder nach unten, den Gestalten zu.

Die mittlere Figur – die aussah wie eine gelbe Weltkugel mit Wackelkopf und zu kleinen Füßen, begrüßte L., ohne ihn beim Namen zu nennen, knapp in scharfem Ton. Auf der Ecke seines Pultes ein Kaffeebecher, der am Rand umlaufend mit bunten Dreiecken, Kreisen und Quadraten verziert war. L. entdeckte, etwas versteckt hinter der Kugelfigur, den Cappuccino-Kollegen.

Die runde Gestalt begann, die anderen beiden Figuren vorzustellen. Zu seiner Rechten sei die Statik, zu seiner Linken die Kunst, er selbst würde die Vereinigung vertreten. L. erkannte, dass die Figur, die gerade als Statik präsentiert worden war, einen großen Quadratschädel besaß. Anders die Kunstfigur. Die war wie eine unruhige formlose Wolke aus bunten, fließenden Stoffen.

Die Statik mahnte, dass die Abrechnung beginnen könne.

L. spürte, dass alle Blicke auf ihn gerichtet waren. Sprach etwas hilflos die, wie er sie nannte, verehrten Mitglieder der Vereinigung an, versicherte, dass es sich um einen Irrtum handeln müsste, er habe nie etwas berechnen wollen. Der Quadratschädel lachte, schaute über L. hinweg, die Menschenwand hinter L. kam in Bewegung.

L. gehorchte, als die Kugelfigur ihm befahl, eine Stufe herunter treten.

Aus der Stoffwolke wurde gefragt, ob es Kunst sei, wirkliche Kunst. L. wusste nicht, was mit der Frage gemeint und ob sie an ihn gerichtet war.

Das Kommando, die nächste Stufe nach unten zu treten, riss L. aus seinen Überlegungen.

L. spürte jemanden nah neben sich. Es war ein Mitarbeiter des Bauamts. Er trug einen kleinen Karton, hielt ihn L. hin. Er legte sein Handy, sein Schlüsselbund und das Portmonee in den Karton, zog seinen Gürtel vom Hosenbund und fügte ihn hinzu. Der Beamte wartete weiter. L. fingerte den USB-Stick aus seiner Hosentasche und legte ihn zu den anderen Gegenständen.

Ohne weitere Aufforderung nahm L. die letzte Stufe zum Treppenabsatz.

Der Beamte übergab der Kugelfigur den Karton, die langsam mit dem Behältnis an L. vorbei, die Treppe hinauf schritt. Der Cappuccino-Kollege nahm behutsam den Kaffeebecher vom mittleren Pult, das der Quadratschädel und die wallende Kunstfigur sodann zur Seite schoben.

L. schritt durch die so entstandene Lücke tiefer in den lichtlosen Keller hinein. Der Cappuccino-Kollege folgte ihm – den Becher demonstrativ vor sich hertragend – bis auch sein Schatten sich in der Tiefe auflöste. So jedenfalls kam es L. vor.

 

 

 

 

Weinkampf - Autorenbegegnung „Weinlese“ in Sonneck, 9. Oktober 2020

Lage, Lage, Lage

Nachfrage

In vino veritas

Geschmacksgrenze kratzt am 51. Breitengrad

Geschmackshoheit ohne Weinkrampf

 

Lage, Lage, Lage

Edelstahllager, geschmacksneutral

Führung der Temperatur, CO²-Entlüftung  

Rebstöcke wurzeln 50-Meter dunkel durch den Muschelkalk

verwandeln Saalegrundwasser in Wein

 

Lage, Lage, Lage

Hanglage, B-Lage

Weingut spielt mit aktuellem Geschmack

Rot, Rosé, Weiß,

Farbenblindverkostung

Sulfide sind Spielverderber

 

Lage, Lage, Lage

Gelage, Gelaber nach der ersten Flasche

Unstrut wird Gutstrut

nach der zweiten Salle gelaalt

nach der dritten Wutstrut

feuchtfröhlich, Hauptsache trocken

 

 

Sich selbst lieben

Mir zweimal 200 Euro aus dem Geldautomaten geben lassen, obwohl ich noch genug Bargeld habe, obwohl mein Konto überzogen ist. Überlege, ob ich das morgen noch mal mache, dann hätte ich fast 1000 Euro in der Tasche.

Anstatt des üblichen Salatmixes für sechs zwanzig, den Antipasti Teller für neun siebzig bestellt und dazu noch den leichten französischen Landwein (das Leben in der Stadt ist schon schwer genug), abgerundet mit einem Cappuccino.

Wen könnte ich jetzt anrufen?

Heute wieder Abschied von Vertrautem.

Morgen ausschlafen - wenn ich einschlafen kann

 

Dann unbedingt Laufen - jetzt weiß ich, warum es mir morgen besser gehen wird.

Es geht also auch ohne Menschen.

Wo sind die Mütter - die mir guttun?

 

Mondwein

Der einsame Drehverschluss der Weinflasche

auf dem Spannbettlaken

im nächtlichen Küchenzeilenlicht

 

vergessener Gegenstand auf dem Mond


Cafe Amsterdam MD

 

Hier bin ich - nie allein.

Warmes gelbes Licht weicht die kleinen quadratischen Tische auf, fängt sich in den Weinperlen am Rand des langstieligen, trotzdem bauchigen Weinglases.

Der Salzstreuer dagegen, ein verlorenes kleines Haus zwischen Wolkenkratzern.

Abschätzende Blicke, beobachte ich, selbst abschätzend.

Einen Moment - mit der Musikpause – steht alles still.

Das zweite Glas französischen Landweins macht mich unabhängiger im Alleinsein, gelassener. Trotzdem fehlt die Amsterdamer Gemütlichkeit, die kleinen Teppiche auf den Tischen, das Chaos, das ich in meinen holländischen Genen weiß.

An den beiden nebenan zusammengestellten Tischen bewegt sich die Gesprächsblase zwischen den drei jungen Frauen und vier Männern wabernd hin und her, teilt sich an der Ecke, um sich dann wieder zu vereinigen.

Reflexe in den letzten Tropfen.

Zeit, die Abrechnung zu fordern.

 

 

Alles angeboten

Habe ich mich dir nicht angeboten,

wie auf einem Tablett

mich preisgegeben,

die Hose runtergelassen.

 

Alles, alles war dir offen!

Du hättest in mir lesen können,

wie in einem guten Buch.

Alle meine Mysterien

wären für dich gelöst …

 

… wenn du nur einmal meine Wohnung aufgeräumt hättest!

 

Versprechen

höbe dich

wärest du gestürzt

auf

 

grübe dich

wärest du verschüttet

aus

 

liebte dich

wärest du erschüttert

auch

 

 

 

 

 

 

 

 

Manches Mahl …

… wenn Ruhe kommt,

allein, in der Mittagspause

 

Reis, Tofu, das Gemüse

schmecke ich dir nach

nach der Pause

denke ich

Reis, Gemüse

dein Geschmack

 

satt hungriger Worte 

Messer

Ich brach die Klinge

Familiensilber

wollte vom Wachs befreien

Schmerzen

 

 

schlaflos              

du hattest Recht

wir übten noch

 

die alten Zeiten

trieben den Schlaf

in die Ecken unserer Heimaten

 

jetzt sucht er dich

zwischen Zeitzeichen und Pheromonen

geht ohne dich

ins Bett

 

 

 

#onlineburnout digi taler

online is fact

wer mimt, der streamt

texte hetzen

zu performances

hör- und sehspielen

movie romances

podcast lieben

cross over

 

over

 

online is fake

sätze niederschwelliger mündigkeit

hetze hochschnellender übelkeit

schätze, verloren in müdigkeit

 

over crowded

over

rhyth - mus

von au - ßen

wo ich mit - muss


Ausdruck der Freiheit

15 Gedichte schicktest du

Ich drucke sie aus:

·         Die Ballade von der Bäckersfrau

 

·         Einen Hauch …

 

·         Freiheit

o       da gibt es einen Stau

§        „Gestautes … aus dem Inneren der internen Abdeckung entfernen!“

§        dort finde ich die Freiheit, zerknautscht, 8 Zeilen, 22 Worte

§        ich ziehe, zerre, reiße sie heraus

§        ein Knick bei „Hoheitsgebiet“, ein Loch bei „Silberwolkengestrichel“, der „Himmel“ zu blass

o       Neustart

o       wieder ein Stau

§        „Gestautes…  aus dem Inneren der internen Abdeckung entfernen!“

§        dort finde ich wieder die Freiheit, zerfleddert, 144 Zeichen, 17 Leerzeichen

§        ich ziehe, zerre, reiße sie heraus

§        Schmutz an „Gestatten“, Kratzer an „Geringstenfalls“

o       Neustart

Freiheit – Schwarz/Weiß - wie gedruckt

 

 

·         Hoffnung

o       wieder Stau

§        dito, also „Gestautes … aus dem Inneren der internen Abdeckung entfernen!“

§        dort finde ich die Hoffnung, es knirscht, 15 Zeilen, 59 Leerzeichen

§        Hoffnung, größer als Freiheit

§        ich ziehe, zerre, reiße sie heraus

§        Macke bei „Mächtigeres“

§        ich fluche, wettere, lästere, beschwöre

o       Neustart

§        dito

§        Fallengelassenes bei „Gaukler“

§        Hoffnung? ich schimpfe, zetere, klage

o       Neustart

§        dito

§        Geschmiere bei „schmächtig“

§        ich rüttle, rüffle

o       Neustart

§        dito

§        Riss bei „Schwebe“

§        Hoffnung? ich schlage

o       Neustart

§        dito, dito, dito …

Hoffnung, nicht ausdruckbar?

 


 Treppenhausheld

 

Geile Alters-WG-Gründungssternschnuppe in der Sommernacht

Mit dem Fahrrad nach Hause.

Bowies „we can be heroes“ – aus der Box im Rucksack, lauter Rückenwind.

Die verdrehte Fahrradlampe blinzelt in die Baumhimmel.

 

Egal.

Wie schnell bin ich noch!

 

Aufschließen.

Treppenlicht an.

Fahrrad in den Hinterhof.

Treppenlauf.

Vier Etagen.

Das Herz meldet sich.

Geschafft.

Hinter der Tür:

Warten. Das Licht geht aus.

Brauchte zehn Sekunden mehr als neulich.

 

Es wird enger, old hero, gräulich!

 


WER sind WIR? Und WO war ICH?

Eine Sprech-Sing-Kollage: ein Panzerlied, Autor-Biografisches, das Gedicht ‚WIR‘ von Inge Müller aus der Generation meiner Eltern, ein Link zum 9. Oktober 2019.

Vorzutragen in Poetry-Slam-Manier

 

Wer sind WIR?

Wir, sagte einer, der dazugehört

sind die verlorne Generation

Sie haben uns um unsre Ration geprellt,

das uns Zustehende war schon verteilt.

 

„… und wo war ich?“  

Bin da! Acht Jahre nach dem Krieg. Stammhalter. Nicht meine ältere Schwester, ich muss die Initialen meines Vaters erben – wie die Unfähigkeit zu trauern.

Es wird wieder gläubig geheilt, verteilt.

Kirche, alter Hut und Halt für die verlorne Generation

Prügel, zuhause, in der Schule,

„… uns hat es auch nicht geschadet…“

Erbfehler, abgestandener Weihrauch

5 Geschwister, der Papst wollte es so

der Vater brüllt, Kasernenhof.

Wer sind WIR?

Wir wurden mit der Lügenflasche aufgezogen,

gefüttert mit dem Brei der Heuchelei,

gezüchtigt mit der Peitsche der Vergangenheit,

geängstigt mit dem Teufel an der Wand,

bis wir das Gängelband zerrissen aus Furcht

und stolpernd über unsere eigenen Füße fielen.

 

„… und wo war ich?“ 

… in der Schule, in der Kirche

katholisch, lateinisch,

heilig scheinende diabolische Dialektik

1967, der Lehrer, Spätheimkehrer, kriegsverletzt,

mich mit „Draußen vor der Tür“ in den Krieg zurückversetzt

pubertär stolpernd, entsetzt,

unter den Talaren der Mief von zwei mal tausend Jahren

elterliches Bildzeitungszutrauen fördert mein Umglauben

 

Wer sind WIR?

Im Namen unsre Väter schrien wir HEIL

und glaubten unser eigenes

und wer von uns den Mund nicht auftat

würgend an unverdaubaren Schalen

spie hin und wieder aus ins Gebüsch:

Der Magen war gesünder als der Kopf.

 

„… und wo war ich?“ 

Auf der Suche nach dem neuem High,

Fragen an Böll-Bücher, wo war der Täter?

schwerverdaubares „Schweig, du Verräter!“

 

Wer sind WIR?

Wir lernten Preußens Gloria – und drei vier: Ein Lied    

und - Deutschland, Deutschland über alles

… über die eigne Leiche gehen, fürs Vaterland

 

„… und wo war ich?“

Kriegsdienstverweigerung

„nur über meine Leiche!“

zwei Verhandlungen und etwas Druck

brachten mich schon in die Kaserne zurück.

Wie die Väter, auch ein bisschen Täter

nicht drüber nachgedacht

 

 

und drei, vier, ein Panzer-Lied!

Ob‘s stürmt oder schneit, ob die Sonne uns lacht

der Tag glühend heiß oder eiskalt die Nacht,

Bestaubt sind die Gesichter, doch froh ist unser Sinn,
Es braust unser Panzer im Sturmwind dahin.

 

Die 3. Strophe mit dem Ende:

Was gilt denn unser Leben für unsres Reiches Heer?
Für Deutschland zu sterben, ist uns höchste Ehr.

 

war da schon gestrichen

 

wurde aber sonst weiter gesungen, weiter, weiter, immer weiter nach der antisemitischen SS-Lied-Melodie von

„Es steht an der Grenze die eiserne Schar

zum Kampfe in die Freiheit gegen Judengefahr"

 

erst 2017 komplett aus dem Bundeswehrliederbuch rausgekickt, weil urplötzlich erblickt

danach bei YouTube schon wieder millionenfach angeklickt.

Wer sind WIR?

Marsch, Marsch: Volk ans Gewehr

Deutsch sein heißt treu sein

Kopf ab zum Gebet

 

„… und wo war ich?“ 

… Jahre später

nicht mehr bei den Gebeten,

jetzt an den Kulturgeräten,

drechsle verkopfte Texte,

schmiede hilflos Papieräxte,

der alte Mann,

und „er kann nicht mehr“

 

unruhig im rechten Deutschsein

imaginäre identitäre Schimäre

ist auch deutsches immaterielles Erbe

… wenn es doch nur Poetry Slam wäre

 

 

 

Wer sind WIR?

Humanismus heißt: Jedem das Seine

(Die Mauer steht noch, wo das steht)

 

 

„… und wo bin ich?“  

Die Tür hielt,

Jom Kippur, Paulus-Viertel

Tod von Jana und Kevin im Helmkamera-Livestream-Egoshooterschick

Thrill-Gamification des Terrors bietet Kill-Gratification via Highscore

 

Das Video findet den zehntausendsten gierigen Blick

obwohl verboten, gesperrt, geschickt taucht es immer wieder auf

schon wieder geklickt, zuhauf, entsichert den Hass

die Maus als Abzug, Klick, halt drauf, echt und krass

 

 

„… und wo stehe ich?“  

Poetry muss nicht begründen, ehh Alta, nur zeigen

Spruch aus meinem Philosophiestudium im Alter

mach ich mir zu eigen

 

Mit „Jedem das Seine“ hat Platon in seiner Politeia gezeigt

„dass man das Seine tut und nicht vielerlei Dinge treibt“

 

Welches Ding treibt … mich?

 

 

 

 

 

Bröckelnde Provinz … alles nur Fassade? (Herbert Beesten 2018)

Ich will Ruhe, Abstand, dahin, wo es still ist, und schön … schön …?

Sagen wir, irgendwie besonders, und günstig, nicht so weit, und … trotzdem in einer anderen Welt, um diese zu erforschen … solange du nicht selbst gebürtig aus diesem Ort kommst.

Oder doch dahin, wo es professionell schön ist, für alle, viel los ist, viel Schönes, zu viel, und die, die das da so schön machen und erhalten sind freundlich, irgendwie p r o f e s s i o n e l l freundlich?

Wenn „die" aber unter sich sind, sprechen sie über mich, über uns als Besucher, Tourist, Gast, hinter unserem Rücken. Über alle die da kommen machen sie ihre Witze:

… was „die" - also wir - alles fotografieren, … und dass sie uns bedienen müssen, … dabei nett sein sollen, … und dann: „könnten Sie mal ein Foto von uns machen, wie wir hier sitzen, aber bitte so, dass auch die Burg im Hintergrund zu sehen ist …", pah, selbst zu faul für Selfies, man hat ja uns als Helfies – sagen sie dann über uns … sollen die doch selbst ihre Fotos machen, oder sich Ansichtskarten kaufen, oder in diese Fotoausstellung gehen.

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Dann vielleicht doch lieber die Provinz? … vielleicht … Staßfurt? … Staßfurt an der Ehle … oder ist es die Bode?

Unauffälliges, heimliches eintauchen, … und doch angesprochen werden, auf misstrauische Gegenbetrachtung stoßen, … wenn man Fotos macht …

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„Hallo, gehen Sie doch in die Innenstadt, das Rondell an der Stadtmauer, oder kaufen Sie doch dieses Buch, da sind schöne Fotos drin, besuchen Sie doch den Markplatz – dahin ist auch dieser Laden umgezogen.

„Ach so, hab ich gesehen, sie meinen den Laden da an der Ecke, mit dieser lammfrommen Auslage?"

„Das ist unser Wappentier, das haben uns ‚die‘ da oben aufgedrückt, wir wollten ein anderes, eins das mehr nach Arbeit aussah - die es hier mal gab - aber die wollten lieber diesen Prediger mit dem Lamm.

Warum diese Ecke hier, unsere Straße, warum die kaputte Mauer, den ramponierten Briefkasten des Nachbarn? Wahrscheinlich machen Sie auch noch Schwarz-Weiß-Fotos, damit es extra trist, alt und grau in grau aussieht. Gehen Sie doch in die Innenstadt, die ist beliebter, belebter. Da sind Menschen. Da ist es bunter"

„Farben sind hier auch, ich mache Farbfotos. Aber hier sind ja kaum Menschen, nur Sie, der Hund … ist der lieb?"

„Hier sind auch Menschen, hinter den Gardinen, manchmal bewegen sie sich".

„Die Menschen?"

„Die Gardinen. Dafür bekommt man erst einen Blick, wenn Sie länger hier sind, aber das kann man nicht fotografieren, diese Bewegungen, das versteht ihr eben nicht, ihr aus der Großstadt. Sie kommen doch aus Magdeburg, oder? Hab ihr Nummernschild gesehen. Hier kennt und kümmert man sich, manche nennen es zwar soziale Kontrolle, aber wir interessieren uns eben dafür, wer hier durch unsere Straßen läuft, … und fotografiert, … hab Sie ja auch gesehen, … der Hund hätte eigentlich noch nicht rausgemusst. Kennen Sie denn Ihre Nachbarn?"

„Ich habe keine Gardinen"

„Das alte Stadtviertel nahm mich auf, erloschen und unwirklich stand im Grau die kleine Kirche. Plötzlich fiel mir das Erlebnis vom Abend wieder ein, mit der rätselhaften Spitzbogentür, mit der rätselhaften Tafel darüber, mit den spöttisch tanzenden Lichtbuchstaben. Wie hatten ihre Inschriften gelautet? „Eintritt nicht für jedermann." Und „Nur für Verrückte." Prüfend blickte ich zu der alten Mauer hinüber, heimlich wünschend, der Zauber möge wieder beginnen …" (2)

 

Warten, anhalten, Momente zementieren

Und manches Mal ein, … ein von Moos übergossenes Lächeln

Kopflos die alte Skulptur – sprachlos erstarrt, Kaninchen vor der Eisenstange.

Eisentüren müssen verschlossen sein, der Raum dahinter hält sich bereit, für …. .

Verwaschene Graffitis, Grün, Beige,

Blau, Rost-Braun, Blass-Grün, schales-Grau,

(in gestelzte Aussprache eines Gourmet-Gerichtes)

„Dunkle Rostecken an Beton-Grau, mariniert in Vergangenheitssprenkeln, serviert mit einem gehauchten Himmelblaublick … „

Doch Menschen, Läuferinnen im Oval-Grün

bizarre Glaswunden

Stolze, ewig frische Klinker triumphieren über rauen-Schmuck-Beton

Das Schlaffe, gefüllt mit weicher blauer Luft,

Humpen-Goethe oder Goethe-Humpen?

Schreibkladden fordern das Vergangenheits-Gen.

Dahinter: Aufs Einpacken lauernde leere Plastik-Pack-Pakete

Pissecke, Abgesägte Rohrstummel

Zerschossene Zieltür: Wer rostet der rastet … nicht mehr aus

Ein Mensch, gebeugt, an der Leine, ein Hund, an der Straße mit dem Langen Zaun,

Asphaltpflaster über kantige Kopfsteinpflaster-Schwachstellen von früher

Monster Leckeis lauert im Dunkel - Alltags-Ready-Made - Kunst?

Adler mit Scheuklappenschwingen - unpreußisch

Schmuddel-Neo-Klassizismus-Patina …

Türglasersatz aus Pappe reizt zum Eintreten, … da wohnt doch keiner mehr!

Die „Broken Windows" Theorie … „Zero Tolerance Policy", … oder war es Schizophrenie?

Hinter dem Zaun, ist vor dem Zaun, ist die richtige Stelle, an der falschen Seite,

ich will hier raus, ich will hier rein, ich will hier weg, sagt der Hund mit eingezogenem Revier-Schwanz

Zufluss, Absetzbecken, Sedimente, Abfluss, (dieser Absatz im Takt mit rhythmischer Musik, schwingende Tanzschritte)

Absetz-becken Sedi-mente Abfluss, Zufluss,

Se-di-mente Ab-fluss, Zu-fluss, Ab-setz-becken,

Ab-fluss, Zu-fluss, Ab-setz-bek-ken, Se-di-men-te,

Absetzen, Durchfluss, Ablauf, Abwinken, Abhauen, Ausbrechen, Aus, Ab, Aus, Zu, Zu, Aus, raus …

Plasteweißes Lamm auf grüner Fleecedecke,

(als kirchlicher Sing-Sang) „.. dass sich selbst als Opfer der Sünde der Menschen hingegeben hat" (4)

Die Stadt mit dem Gold-Turm, auch nicht von Rembrandt, ist ein Kunze, samt Passepartout aus zickzack-Betonlückenfüller

der alte Briefkasten wartet lauernd auf eine frohe Botschaft

mobiles Gold wartet auf den Schein, aus der Pfütze dampft das Eilige

Drei Ampelmännchen - dreierlei Epochen-Pause. Ein Rot, ein Grün,… ein Grau vorbeigesendet

„Wo waren wir? Schlief ich? War ich zu Hause? Saß ich in einem Auto und fuhr? Nein, ich saß im blau erleuchteten runden Raum, in einer verdünnten Luft, in einer Schicht von sehr undicht gewordener Wirklichkeit." (2)

    • Provinz: Ein Ort mit einer Umgehungsstraße. Großartig (3)
    • Wie klein muss eine Stadt sein, damit sie für sich „pro winzig" reklamieren kann? (3)
      • Bierfest auch 2019 (6)
      • Landwirte fordern Hilfe vom Ministerium (6)
    • Provinz ist nicht gleich Provinz und Provinz ist nicht gleich provinziell. (3)
    • die Arroganz der Metropole und die Schönheit der Provinz (3)
      • Polsterhandwerk in Erinnerung halten (6)
      • Couch im Feld kein Einzelfall (6)
    • Ich hasse die Provinz, aber sie hat mich zu dem gemacht, was ich bin. (3)
    • Provinz: Immer der nächst kleinere Ort (3)
    • In der Provinz, das wissen wir alle, da ist Kraft - und manchmal auch Herrlichkeit. (3)

Provinz ist Anfang und Ende

(dieser Absatz im Takt mit rhythmischer Musik, wie oder mit Tanzschritte)

Zufluss, Absetzbecken, Sedimente, Abfluss,

Zufuß, Abseits-Hecken, Ab-Hetz-Strecken, Seh die Meute, Seh-die-hängen, Abschluss, Abschuss, G wie Geh Nuss

(immer langsamer werdend)

Absetzen, Durchfluss, Ablauf, Abwinken, Abhauen, Ausbrechen, Aus, Ab, Aus, Zu, Zu, Aus, raus …

 

 

Zitate:

(2) Hermann Hesse, aus „Der Steppenwolf"

(3) diverse Zitate aus dem Internet zum Thema „Provinz"

(4) Zitat eines Textes in einem Ausstellungsbild Bild von Hans-Ulf Kunze

6) Lokal-Onlineausgabe Staßfurt der „Volksstimme" August 2018

 

 

VATER, Deiner (Herbert Beesten – 2015)

Eine Performance

(Regieanweisungen kursiv und nicht fett)

(Ausgangssituation in einer Ecke des Raumes, oder hinter einer Stellwand, einem Pfeiler oder einem Vorhang, wenn nicht möglich, kann als Ausgangspunkt ein Stuhl oder Sessel dienen. Beginn, Zwischenstopp und Ende dann mit dem Rücken zum Publikum.)

(Der erste Teil soll kräftig, meist laut und dominierend vorgetragen werden, adressiert an jemanden, vor dem man große Angst hatte, der einem aber jetzt nichts mehr anhaben kann. Zum Ende hin steigern.)

(Im zweiten Teil ist ein Rollenwechsel, ein Vater, der der Sohn aus dem ersten Teil ist, der so vieles anders machen wollte als sein Vater. Anscheinend mit dem gleichen Ergebnis: Keine Kommunikation mit dem Sohn! Deswegen hier ruhigerer Duktus, aber zweifelnd, bittend, flehend, auch nach Erklärungen suchend. Um Entschuldigung bitten?)

bobobobobobo obobababababababab ababababababbobobobobobabababab

Ppapapapapapapapapapa

(unregelmäßige, kleine stockende Pausen, manchmal Stottern, langsam zum Publikum wenden.Aanfangs klingt es wie ein Hubschraubergeräusch, das sich dann langsam zu „Papa" entwickelt.)

papapa papap papa pa pa papa papa papa papa Papapapa pa pa

(rufend, nicht fragend, als würde der Sohn den Vater „ihn" gerade entdeckt haben, ihn fordern)

Papa! Papa! (dann ärgerlich, langgezogen) Paaaaapaaaaaaa !

(Pause)

Papa?

(Pause, umschauen im Raum, umhergehen, in die Ecken der Zimmerdecke schauen)

Papa, ….. Papa, ……… hörst du mich

Wo bist du? Papa?

Im Himmel ? Papa, Im Himmel? (etwas ungläubig)

Papa im Himmel. (mit einem etwas abfälligen Lachen)

Ja, ja, hast immer daran geglaubt, an den Himmel

Hörst du mich, Himmel, hörst duuuu mich? Himmel (das zweite „du" sehr eindringlich)

Schaust wieder auf mich runter?

Ich, ich, ja, ich musste immer hören, hören!!!! Sonst fühlen! (nach oben schauen und bei „fühlen" eine Hand abwehrend noch oben heben, zusammenzucken)

Nur einmal, als ich dich bei deinem Vornamen rief. Das hörtest du!

Ja, und da, da machtest du mir Angst

mit deinem Namen, in deinem Namen.

Das war dir zu eng, zu nah, zu persönlich, vor allem vor den Nachbarn!

Das war dir zu eng, zu nah, zu persönlich, vor allem vor den Nachbarn! (zweites Mal gesteigert)

Papa, Papa, papapapapapapapappa. Papa hörst du mich?

Deine Kette aus Angst - für mich.

Ich sollte es ….. besser haben …. es besser haben (mit bissigem lautem Lachen)

Lass mich doch in Ruhe, mit deinen Zweifeln, ….. schafft er es auch???

Hörst du mich Papa, papap … Papa? (wieder leiser)

Ich höre dich nicht … Warst doch sonst immer so laut!

Mir zu viel aufgeladen, von deinen Wünschen, deiner Angst.

Angst, vor den Bösen, dem Bösen, glaubst du immer noch an das Böse, auch da oben, das Bööööössee! Das Bööööööse! (steigern, jedes „Böse" länger und kräftiger)

… gegen das du dich damals hier mit Steinen eingemauert hast.

Meine Hand, blutet… (zeige dem Zuschauern deine „blutende" Hand, eventuell die blutende Hand/Arm einer Schaufensterpuppe) … spucktest du deine ganze Angst genau auf diese Stelle. (spucke auf deine Hand)

Und das sagtest du: „Ungeschicktes Fleisch, das muss weg, weg", „Ungeschicktes Fleisch, das muss weg, weg" (zweites „ungeschicktes Fleisch" gesteigert und, wenn eine Schaufensterpuppenhand zur Verfügung steht, die Hand Richtung Publikum auf dem Boden entlang schleudern, dass sie zu Füßen der ersten Zuschauerreihe landet)

Papapapapapapapapapapapapapapapababababababababababababab

(Laut, dann leiser werdend)

papapapapapapapapap papapapapapap Papapapapapapapapappapapap

(dann wieder zum Ausgangspunkt zurück, in eine Raumecke oder hinter einen Pfeiler, eine Stellwand … erster Teil beendet)

(dann Stille … 5 bis 10 Sekunden … dann zweiter Teil, insgesamt leiser, ab hier eher bittend, weinerlich, eher ängstlich jemanden bittend ….)

Hallo,

Hallo, Hallo, …… Hallo ? (lauter, trotzdem zurückhaltend bleiben. Das Publikum muss sich anfangs anstrengen, umzu verstehen,, langsam wieder aus der Deckung kommen)

Hallo, Hallo, …… Hallo ?

Ich höre dich nicht, ich höre dich nicht!!!! (umschauen, suchend, unsicher)

Ich kann dich nicht hören,

Warum sagst du nichts

Meld‘ dich doch

Ich bin’s. Wo bist du? (hin und her laufen, im Raum suched, auch mal ans Publikumwenden , dort jemanden suchen)

Ich bin`s doch, dein Vater, dein Vater … (Pause)

„Mein Papa", hast du nie gesagt, immer meinen Vornamen.

Das war mir so wichtig,

ja, das sollte enger sein, nicht so nach oben, mehr wie ein, …. ein ….. großer Bruder. (das letzte langsam, als würde gerade die Erkenntnis kommen)

(die vorgehenden Sequenzen in verschiedene Richtungen sprechen, als wäre deranwesend, der angesprochen werden sollte)

Ja, aber den hattest du ja schon, (Feststellung)

hallo, duuuuuu. Hörst du mich?

Ich höre, ich höre dich nicht

Wäre Papa besser gewesen, wäre ein Papa besser gewesen …? (als kräftige Frage, Lautstärkesteigernd)

Papapapapapapapapapapapapapapa papapapapapa … (leise)

Warum höre ich nichts von dir? (fragen)

Brauchst doch keine Angst zu haben vor mir, doch nicht vor mir!!! (lächeln, aber beim Sprechen mit dem Kopf schütteln)

Ja, ich weiß, es tut mir leid.

Aber, aber, es ging nicht anders.

Ich konnte es nicht mehr aushalten. (verzweifelt)

Glaub mir doch …. Warum glaubst du mir nicht? (bitterlich fragend))

Ja, den Glauben, den hab ich dir erst gar nicht gegeben, (Feststellung!)

aber kein Himmel heißt auch keine Hölle,

keine Hölle

Hörst du?Keine Höööööölllleeee !! ( Laut werden!)

Ich hatte Angst. Du solltest keine Angst haben, du solltest doch frei sein, keine Hölle. Hörst du? Keine Hölle

… nicht mein eigen Fleisch und Blut

…solltest es besser haben, (erkennendes Kopfnicken) besser haben … (nachdenklich)

(aufgeschreckt) Hallo, bist du noch da? Geht es dir besser?

Wo bist du jetzt, ich höre dich nicht

babababababababaab (so tun, als würde man etwas hören …)

lauter, ich höre dich nicht

babababab

warum? Ich höre dich nicht

Wo bist du, wo, wo, wo ??? (langsam wieder zurück zum Ausgangspunkt,Raumecke, hinter Stellwand, Vorhang, Säule …etc)

Komm doch, …. bevor ich …. tot gehe

papapapapapapap papapapapapap

dududu wawawawaw bbaba babababababa ababab aba babobbobobobobob

(wieder in den Hubschraubersound wechseln, wenn der Ausgangspunkt wieder erreicht worden ist, dort noch ca 5 .. 10 Sekunden anhalten)

Still warten, versteckt oder mit dem Rücken zum Publikum, erst reagieren, wenn das Publikum reagiert.